Auferstehen oder der Tag, der auf die Nacht folgt

Gedanken wechseln die Richtung

Auferstehung.

In wenigen Tagen ist Ostern.

Ich weiß noch als die kleine Tochter der Nachbarn zu Ostern keine Süßigkeiten wollte und ganz traurig war: Im Kindergarten hatten sie die Geschichte vom gekreuzigten Jesus wohl etwas zu bildhaft besprochen. Da half auch das mit dem Auferstehen nichts mehr.

Dabei beschreibt die Auferstehung Jesu das Tröstliche schlechthin. Auch nach der schlimmsten Zeit, der größten Angst, und selbst nach dem Tod – es ist nicht das Ende. Egal wie tief der Abgrund sein mag, es geht weiter. Vielleicht besser als je zuvor.
Immer kann es einen Neubeginn geben.

Dem kleinen Mädchen wurde dann (auch sehr bildhaft) nochmal von der Auferstehung erzählt, mit all dem Trost und der Hoffnung darin. Das überzeugte sie und die Ostereier-Suche konnte losgehen.

Neben der religiösen Überlieferung ist die Zeit um Ostern auch eine Auferstehung der Natur. Nach einem langen Winter, in dem es in Vor-Supermarkt-Zeiten wenig zu essen gab, beginnt die Natur zu spriessen und Essbares tritt zu Tage. Alles beginnt neu.

Neubeginn

Nicht nur im Frühling, nicht nur zu Ostern, erlebe ich den Wunsch nach Neubeginn in meiner Praxis: Viele Menschen sehnen sich danach, neu und anders zu leben. Sie wünschen sich etwas „weg“, wissen aber meist nicht, was genau stattdessen „her“ soll. Hinzu kommt die Sicherheit des Gewohnten, die man behalten will und die oft das Verhalten bestimmt.

Das ist verständlich und sollte unbedingt gewürdigt werden.

Wir verlassen nun mal nicht gern einfach so unser Haus, auch wenn wir uns darin nicht mehr wohl fühlen, es reinregnet und der Wind durch Ritzen pfeift. Wir packen ungern unsere Sachen und stellen uns dem Sturm draußen. Vor allem dann, wenn wir keine Ahnung haben, wie dieses neue Haus aussehen soll und nicht sicher sind, ob wir es finden. Bisheriges Haus und Umfeld, so zerfallen es sein mag, wir kennen es und finden uns dort zurecht (wenn auch nur halbwegs).

Und so sind wir oft erst dann für wirkliche Veränderung bereit, wenn der Stress schon groß ist, die Einschätzung der eigenen Lage immer schlechter wird, und wir uns eben nicht mehr „im Haus zurechtfinden“. Um aus unseren Tälern rauszukommen, uns zu verändern, neue Gewohnheiten zu etablieren und manches loszulassen – quasi aufzuerstehen – müssen wir meist bewusst etwas dafür tun.

Aber was?

Vor vielen Jahren haben mir meine eigenen Erfahrungen die Wirksamkeit der Gedanken und die damit einhergehenden Geschichten bewiesen. Dafür bin ich sehr dankbar.

Gedanken und Geschichten als Gamechanger

Damals kannte ich Nächte, in denen ich kein Auge zugetan habe. Und dabei meine ich nicht mal die Nächte, die den Tagen folgten, in denen ich lebensverändernde Einschnitte wie den Abschied von lieben Menschen zu verkraften hatte.

Ich meine Nächte, in denen mein Geist hyperaktiv war und mich trotz großer Müdigkeit nicht schlafen ließ. In wenigen dieser Nächte war mein Verstand beschäftigt mit freudiger Erwartung auf den nächsten Tag oder mit höchster Zufriedenheit mit mir selbst. In keiner dieser Nächte.

Womit also war mein Verstand während der quälenden Schlaflosigkeit beschäftigt?

Kurz gesagt: ich bewertete.

Und zwar gnadenlos negativ. Mich selbst. Die Umstände. Andere. Die Vergangenheit, die Gegenwart, die Zukunft.

Ich wertete ab, und ich haderte.

Hätte ich doch nicht. Oder hätte ich doch. Wäre dies oder das anders gewesen. Was passiert, wenn …Dies und das ist falsch, schlecht, schlimm, gemein, unsicher, angstmachend. Der oder die hätte anders sein sollen, müsste etwas tun oder nicht tun, wird mir Ärger machen. Es darf nicht sein, dass …

Ich schoß mich also auf irgendwelche „Geschichten“ in meinem Kopf ein – über mich, andere, das Leben. Und je dunkler und länger die Nacht, desto dunkler waren auch meine Gedanken.

Denn eines sind unsere Gedanken: Geschichten.

Geschichten, bestehend aus Worten und vor allem aus (inneren) Bildern, die entscheidend unser Empfinden und unser Verhalten beeinflussen. So selbstverständlich sind diese Geschichten für uns – es ist zur Gewohnheit geworden ist, wir bemerken dies gar nicht mehr.
Es denkt sich von selbst.

Eine Zeitlang stand ich nach solchen Nächten also unausgeschlafen und psychisch verkatert auf. Keine gute Kombination für einen erfolgreichen, freudvollen und zufriedenen Tag.

Außer…

Ich hatte das Glück, bereits in eben diesen jungen Jahren „Mini-Erleuchtungen“ zu erleben. Kleine Lichter, die mir quasi über Nacht aufgingen. Vielleicht kennst du das ja auch?
Dann war es nach schlaflosen Nächten wie von Zauberhand vollkommen anders.

Ich stand auf und war frei.

Solche Erlebnisse empfand ich schon seit jeher als kleine Auferstehungen. Meine Bewusstheit hatte sich erweitert und trotz Müdigkeit empfand ich den folgenden Tag als großes Geschenk. Ich hatte begonnen meine Geschichten zu ändern.

Über mein Leben, über mich, meine Vergangenheit und Zukunft. Ich beleuchtete meine Herkunft, meine emotionalen Erfahrungen und Hintergründe und gab diesem Licht eine neue Farbe. So klärte sich mein Blick auf das Leben und machte den Vorhang frei für eine neue Sichtweise, neue Gefühle und neue Verhaltensweisen. Wie nach einem langen Winter die fruchtbare Natur mit ihren essbaren Schätzen folgt, folgte bei mir nach solchen Nächten, immer öfter der Schatz einer neuen Bewusstheit.

Gnade oder hilfreiche Möglichkeit für alle

Später fragte ich mich, ob diese Erlebnisse eine unwillkürliche Gnade waren – oder, ob sie  reproduzierbar sind.

Die Antwort ist:

Ja sind sie!

Denn glaub mir, Veränderungen sind nicht nur Gnade, sondern wir selbst haben Einfluss darauf. Es fühlte sich so an, wie eine Mini-Erleuchtung oder Auferstehung, was ich aber tatsächlich dazu beitrug war vor allem eines: ich verschaltete meine Gehirnzellen neu, indem ich den gewohnten Denkautomatismus unterbrach und vollkommen neue Gedanken zuließ.

Geben wir also den Geschehnissen und Gedanken nicht immer und immer wieder dieselbe negative Bedeutung. Erzähle dir andere „Geschichten“, die dich stärken und beruhigen, beleben und anfeuern, dich sowohl dir als auch dem Leben gegenüber freundlich stimmen. Das hat mit zwanghaft positivem Denken oder sich etwas vormachen nichts zu tun. Vielmehr schaust du in mehrere Richtungen, nicht nur in eine. In einer anderen Blick-Richtung gibt es dann eben auch andere Geschichten.

Die Kunst besteht darin, sich an diese Möglichkeit zu erinnern und – es zu tun, immer wieder zu üben und dabei zu bleiben. Für deine Geschichten (Gedanken, inneren Bilder) immer mehr die Richtung zu wählen, die dich stärkt und dir gut tut.

Ich weiß, das geht nicht ganz von selbst. Aber gerade jetzt lohnt es sich, denn die Zeit um Ostern ist energetisch ein gutes Sprungbrett für Neues.

Du hältst mir entgegen, dass bei deinen Problemen keine Richtungsänderung der Gedanken und keine neuen Geschichten möglich sind? Das verstehe ich gut. Daher ein Phänomen als Beispiel:

Wer schon mal verliebt war, kennt es:  Wir sehen die Welt plötzlich heller. Bisherige Tatsachen wie die anstrengende Arbeit, der nervige Nachbar, das schlechte Wetter, womöglich auch körperliche Schmerzen oder bewusste Traumata können sich freundlicher, weniger belastend anfühlen oder sogar verschwinden. Obwohl die Tatsachen ja eigentlich bleiben wie sie sind.

Hoffnung und Wege

Dem kleinen Nachbarskind wurde aus der Auferstehungsgeschichte schließlich etwas sehr Hoffnungsvolles und Tröstliches mitgegeben: Alles wird gut, sogar nach dem Tod kommen wir irgendwie heil und ganz aus der Sache raus.

Ostern gibt uns Hoffnung.

Wenn wir wollen.

Hoffnung auf Unendlichkeit und auf die dauerhafte Möglichkeit des Neubeginns.

Der Blick nach innen ist der erste Schritt – was suchst, brauchst, möchtest du wirklich? Was erzählst du dir selbst den lieben langen Tag? Damit du dich sogar ab und zu bei Wind und Regen aus dem viel zu eng gewordenen Haus traust, ist es gut, wenn du darauf Antworten findest, oder zumindest Ahnungen.

Aber Vorsicht, es kann sein, dass du dich verliebst – ins Leben und in deine kleinen und größeren „Auferstehungen“.

©2023 Sabine Kastner

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